Meyer
Anton Meyer war der langsamste Unterschreiber der Welt, was nicht an seinem Alter lag, denn er war weder Kind noch Greis und auch nicht behindert. Normale Menschen – hier ist das Wort ausnahmsweise am Platze – erledigen das ohne Umschweife, und dass einige – Männer meist – wilde Schnörkel machen, den Strich erdbebenhafte Ausschläge vollführen lassen, steht nicht im Widerspruch dazu, tun sie das doch regelmäßig in der Manier von Teufelsgeigern; schon schieben sie dir das Gezeichnete herüber. Virtuosen ihrer selbst.
Herr Meyer schob die Mine so vorsichtig über’s Papier, als fälsche er den eigenen Namenszug. Aber was für eine unbeholfene Fälschung! Ein Kind hofft vielleicht mit sowas durchzukommen, wenn es die Schule geschwänzt hat. Mit den Jahren wurde es immer schlimmer, er fing auch noch zu zittern an. Diese lächerlichen Ergebnisse konnte nun wirklich niemand mehr akzeptieren.
Ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Frau stand Herr Meyer da. Auch ohne Anton Meyer. Er war dieser ja ganz offenkundig nicht, sondern tat nur so, wie die Unterschrift bewies. Doch man gab ihm eine letzte Chance. Da saß er nun vor dem Wiedereingliederungsformular. Seufzend nahm er den ihm hingehaltenen Stift und setzte an zum M (Nachname reichte).
Ja und wie die Geschichte ausgeht, ist ja klar. Da sitzt er noch. Am y. Auf der Weltreise der Unterlänge.
Salon Salome
Nebeneinander standen die zwei Friseurinnen, die junge und die alte, und guckten Löcher in die Luft, während ihre Hände routiniert die in den Nacken und die Aussparung des Beckens gelegten Kundenköpfe einschäumten. Anfangs hatten sie noch ein paar Bemerkungen ausgetauscht, bald aber waren die beiden verstummt. Ich wartete und saß dabei bereits vor einem der Spiegel; dieser Salon hatte keinen speziellen Wartebereich. Ich sah aber nicht in den Spiegel, sondern hatte den Sessel zum Raum gedreht. Ich wäre mir komisch vorgekommen, mich, ohne die Haare geschnitten zu bekommen, die ganze Zeit anzusehen. Ich dachte gerade darüber nach, dass Friseurinnen nicht selten nachlässig frisiert sind, ihre künstlichen Fingernägel jedoch, obwohl man denkt, wie unpraktisch, stets lang und perfekt, als die junge auf einmal, ohne Hast, ein Messer aus einem der Plastikwagen nahm und dem Kunden der alten die Kehle durchschnitt. Ebenfalls ohne jede Hast revanchierte sich diese. Es müssen sehr scharfe Messer gewesen sein, denn die Köpfe lagen nun völlig abgetrennt, für mich fast unsichtbar, in den Becken, wo sie weitergewaschen wurden…
„Huhu, träumen Sie? Sie sind dran.“
Sitzen
Der langgezogene Marktplatz des tschechischen Städtchens war von historischen Häusern gesäumt, deren jedes in einer anderen Bonbonfarbe getüncht war. Unten verband sie ein trutziger Kolonnadengang. Die Front hatte man schön restauriert, aber die kleinen, höhlenartigen Geschäfte boten nur Döner, Handyverträge, Sportwetten oder standen gleich ganz leer. Eine Ausnahme bildete das größere an der Ecke, wo der Bürgersteig vor den dicken Pfeilern breiter war. Da hielt sich ein Café, innen mit etwas Fantasie an K.-u.-k.-Zeiten erinnernd, draußen Stühle und Tischchen in der Sonne. Hier hatte der Außerirdische Platz genommen.
Sein Raumschiff war direkt hinter der Reihe erster Häuser am Platze in einer Brache, Mischung aus Kleingärten und Parkplatz mit Mauerresten voller Graffiti, notgelandet. Schief stak es im böhmischen Boden. Aber der Ort tut eigentlich nichts zur Sache, nicht bei diesem Gast, für den Manhattan sicherlich so gut wie Timbuktu oder der Südpol einfach „auf der Erde“ heißt.
Wir lassen auch weg, was sich natürlich abspielte, Menschenauflauf, Polizei, Selfies mit dem Außerirdischen. Verwunderlich war ja eher, dass das zunächst einmal nichts nach sich zog. Zigtausendfach war der Fremdling schon um den Globus gesendet worden, saß aber immer noch bzw. wieder ziemlich unbehelligt auf seinem Stühlchen.
Was wir auch weglassen, all die sprachlichen Spitzfindigkeiten, ob er wirklich „saß“ – und ob’s denn ganz sicher, und woher man das wissen wolle, ein Er war oder nicht doch eine Sie, ein Es…
Man hatte zu kommunizieren versucht. Erst der Kellner, alte Wiener Schule, was der Herr wünsche, auf tschechisch und deutsch. Später deutsche Austauschschülerinnen mit Rucksäcken, auf englisch. Irgendwer hatte eine Reproduktion der Pioneer-Plakette angeschleppt, die seit über vierzig Jahren an Bord unserer Sonde durch’s All fliegt, die mit dem nackten Mann und der nackten Frau. Er hebt grüßend, aber ein Fremder könnte es vielleicht auch als Drohung empfinden, die Hand. Diese Plakette wurde dem Außerirdischen unter die Nase (?) gehalten und der, der sie gebracht hatte, zeigte abwechselnd auf sich und den Adam darauf. Man muss dazusagen, der echte Mann war weitaus weniger gut gebaut.
Aber bald wurde das Ganze langweilig, da jede Reaktion ausblieb bzw. man etwaige Reaktionen nicht als solche wahrnahm, geschweige, dass man ihnen Sinn hätte zuschreiben können. Er war eben einfach nicht das, was wir uns unter einem Außerirdischen vorgestellt hatten, besaß weder Stiel- noch Riesenaugen, keinen Eierkopf, war auch nicht tintenfischähnlich, kein Schleimwesen aus den Tiefen des Alls und auch kein hilflos unserer Schwerkraft ausgelieferter Sack. Vor allem wirkte er nicht aggressiv. Und auch nicht sexy. Schwer zu sagen, was er weniger war, aggressiv oder sexy…
So ließen wir ihn einfach sitzen und ketteten die Stühle ringsum an. Es war auch kalt geworden. Die Wissenschaft sollte ihn abholen, morgen.
Kurzprosa von Moritz Heger wurde bislang in etlichen Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem in der FAZ.